Gastbeitrag: Autorin Franka, veröffentlicht am 27. August 2023
Ich erinnere mich an einen Text von Peter Bichsel, den ich wohl in der Schule lesen musste – denn ich war und bin wahrlich kein Fan von ihm, und obwohl ich schnell und gern lese, so war es mir doch sicher nie derartig langweilig gewesen. Dieser Text also handelte von einem alten, alleinstehenden Mann, der aus Langeweile anfing, alle Dinge umzubenennen. Aus Tisch wurde Stuhl oder so ähnlich (ich habe den Text nicht nachgelesen; mir geht es ums Prinzip). Nach den Nomen kamen dann die Verben an die Reihe. Er füllte mit seinen neuen Vokabeln Listen und paukte sie, bis er in seiner eigenen, neuen Sprache dachte; einer Sprache, die zwar gleich klang, aber grundverschieden war, denn die Bedeutung der Wörter war ja eine gänzlich andere. Am Anfang amüsierte ihn, was er von fremden Gesprächen aufschnappte, aber dann betrübte es ihn zunehmend, als er merkte, wie sehr ihn das entfremdet hatte: er hätte sich mit niemandem mehr unterhalten können.
Diese alte Kurzgeschichte ploppte kürzlich aus den Tiefen meines Gedächtnisses hoch in meine Gedanken wie eine aufgetriebene Wasserleiche. Und während ich damals für den fiktiven Senior nur Kopfschütteln übrig hatte – das Ende war ja wohl vorherzusehen gewesen – so fühle ich heute mit ihm. Mehr noch; gewissermassen bin ich er – in passiver Weise, da ja eigentlich die Welt um mich herum angefangen hat, ihre / unsere Sprache umzugestalten. Aber ich fühle mich so wortlos, sprachlos, so falsch und so fremd und so unverstanden in meiner Sprache, wie er es wohl war.
Es fing damit an, dass es „solidarisch“ wurde, sich wegzusperren. Und andere, zu deren „Schutz“, um den sie nie gebeten hatten. Der Gesellschaft zu „helfen“, hieß, gar niemanden potentiell Hilfebedürftigen mehr treffen zu können. Die Welt „auf Abstand“ zu halten war das neue „sozial“. Da begann meine Sprachlogik, erste, aber zunehmend massive, Ausfallerscheinungen zu zeigen …
Ich fing an, sprach- und machtlos zu werden…
Es musste irgendwie raus, ich musste da raus – aber die wenigen Demos, die es gegen die „Maßnahmen“ gab, waren ja veranstaltet oder zumindest besucht von „Querdenkern“, „Rechten“, wenn nicht gar „Nazis“. Zudem wurden dort „Leugner“ von deren Nutzen und „Gegner“ der „Maßnahmen“ zur Einhaltung derselbigen gezwungen: Abstand und FFP2-Masken im Freien. Es dauerte (zu) lange, bis ich in Kauf nahm, dort dann halt eben auf solche zu treffen – und zu meiner Irritation fand ich da gar keinen, keinen einzigen, ja überhaupt generell wenig Männer. Keine entsprechenden Frisuren, Outfits oder Marken wie Lonsdale, keine Tattoos oder Flaggen, einfach nix. Aber dafür ganz viele Frauen, besorgte Mütter wie ich. Nur die Presse fand natürlich wieder welche, auch bei der Demo, auf der ich war. Leider ohne Bild, so dass ich nicht meinen Horizont um deren Erkennung erweitern konnte. Damit war ich jetzt also offiziell auch…ja, wie heißt denn jetzt eigentlich ein weiblicher Nazi korrekt?!
Im Folgenden muss ich wohl sagen, dass ich weiter auf die / der schiefe(n) Bahn rutschte … Denn ich skandierte im Folgenden oft und gern „Demokratie“, obwohl doch „aufrechte Demokraten“ gar nicht auf der Straße zu finden waren. Vor allem nicht, nachdem die „Spaziergänge“ dann verboten und in München massiv verfolgt wurden. Natürlich zum „Schutz“ der Bevölkerung. Nein, „aufrechte Demokraten“ unterstützen stattdessen den Kurs der Regierung. Ich forderte „Freiheit“, obwohl die Gesellschaft inzwischen der Meinung war, das bedeute, frei von Ansteckung zu bleiben – ergo geschützt zu werden. Vor mir und vor allen, die „Freiheit“ so gänzlich missverstehen.
Ich konnte mich auch nicht auf anderweitige „Experten“meinungen berufen, weil „Experten“ inzwischen ja nur noch die offizielle Meinung vertraten. Alles andere waren keine (mehr). Alles andere war auch keine „Wissenschaft“ mehr …
Und es hängt mir bis heute nach; verbrannte Wörter allerorten: Wenn ich ein Plakat lese, das dazu auffordert, sich auf Geschlechtskrankheiten zu testen, so erschrecke ich mich vor dem Wort „Test“, und wenn Fasching ist, so macht mich der Begriff „Maske“ nervös. Bei „Fakten“ bekomme ich Hypertonie, vor allem in Kombination mit „Check“.
Und dabei war es alles mal so staatstreu gelaufen bei mir … Als Frau in einer Männerdomäne war mir nämlich tatsächlich das generische Maskulinum schon länger ein Dorn im Auge, im Französischen sogar noch mehr als im Deutschen; ich fühlte mich da nicht wahrgenommen oder repräsentiert. Und als dann mein Erstgeborener total aus dem Häuschen war beim Anblick seiner ersten Lokführerin, und mir bewusst wurde, dass wir Berufsbezeichnungen immer mit „der Mann, der …“ erklärt hatten, befasste ich mich mit dem Gendern. Wie hätte er denn auch wissen sollen, dass Frauen da „leise mitgedacht“ sein sollen? Es hatte ihm bis dato nie jemand gesagt, und was man nicht formulieren kann, kann man nicht denken. Ich machte also Wortspiele mit meiner Eigenkreation, „das Leut“: Bäckerleut, Handwerkerleut, Lehrerleut, … Überlegte auch, ganz gerecht und gleichgestellt, damit die Männer als „Täter“ (Artikel: der) zu entlasten, ganz im Gegenteil zum sächlichen Opfer … War auch für pragmatische praktische Lösungen wie Toiletten für Steh- vs. solche für Sitzpinkler.
Das war auch alles schön und gut, so lange es diskutiert und nach ordentlichen sprachlichen Möglichkeiten gesucht wurde, so lange bei Bilderbüchern und Filmen verstärkt darauf geachtet wurde, die Realität – aber nicht den Wunsch einer neuen Realität – abzubilden … – Aber jetzt, da ich damit als „alternativlose“ Tatsache konfrontiert werde, bin ich dagegen! Jetzt, da alle zig Geschlechter in meine Wörter einfallen wollen, mache ich dicht.
Vielleicht ist meine „Vatersprache“ tatsächlich mängelbehaftet und sogar ungerecht bzw. diskriminierend, mag sein. Aber jetzt, da ich fühle, wie sie mir entfremdet wird, wie sie verhunzt wird, weiß ich eines ganz klar: ich will sie behalten. Exakt so, wie sie war! Die absolut präzise Sprache der deutschen Dichter und Denker. Gänzlich ohne Gendern. Ohne political correctness wie „Schutzsuchende“ u. a. Trocken, schnörkellos und unglamourös. Und auch noch mit Indianern. Und mit Zigeunern, dazu stehe ich, denn es gibt da mehr als nur „Sinti und Roma“.
Denn sonst droht mir wie uns die kollektive Wortfindungsstörung, der Sprach-Alzheimer. Und dann gnade uns … wie-hieß-der-Typ-gleich-noch?