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Wichtiges Thesenpapier zur Corona-Aufarbeitung

Vom MWGFD-Presseteam: Autorin Claudia Jaworski; erschienen am 8. Juli 2023

Wer A sagt muss nicht B sagen, wenn er erkennt, dass A falsch ist!

Diese Erkenntnis wäre das, was angesichts der Kollateralschäden des dreijährigen Corona-Maßnahmen-Irrsinns jetzt zu erwarten wäre, wenn man denn nachbessern wollen würde. Dass ein Abwägen zwischen Kollateralschäden und wirklichem Nutzen von der ersten Minute an hätte passieren müssen und nicht passiert ist, ist dem Modus des blinden „Durchregierens“ geschuldet. Während die Fehlerkultur stagniert, gar durch Flucht nach vorne regrediert, wird der Ruf nach der Corona-Pandemie-Aufarbeitung immer lauter. Die Beweislast wächst. Das Vertrauen ist verspielt. Ein zukunftsgerichtetes Verzeihen bringt nichts, wenn rückwärtsgewandte Maßnahmen die Gesellschaft in die Knie zwangen. Um derartigen Fehlentscheidungen im Bereich der Gesundheitskrisen künftig vorzubeugen, macht der MWGFD auf ein wichtiges, in der Märzausgabe der Schriftenreihe „Monitor Versorgungsforschung“ erschienenes Thesenpapier einer Autorengruppe um Prof. Dr. Matthias Schrappe aufmerksam.

Einen pointierten Einblick in die aus 13 Thesen bestehende Stellungnahme gewährt das Interview zwischen der Journalistin Antje Maly-Samiralow und dem Mathematiker und Medizinstatistiker Prof. Dr. rer. nat. Gerd Antes.

Prof. Dr. Antes, der arbeitstechnisch mit den weiteren Mitgliedern der Gruppe aus Klinikern, Praktikern und Wissenschaftlern verbunden ist, empfiehlt jenes Thesenpapier zur Pflichtlektüre für alle diejenigen, die während der Pandemie für deren Steuerung und Bewältigung verantwortlich waren. Der Wegbereiter der evidenzbasierten Medizin in Deutschland und ehemaliger Gründungsdirektor des Deutschen Cochrane Zentrums, Prof. Dr. Antes, zieht folgende Bilanz:

Auf die einleitende Frage von Frau Maly-Samiralow, ob fehlende Expertise Anlass für den Titel „Die Bedeutung fachlich-wissenschaftlicher Grundprinzipien und die Folgen ihrer Missachtung“ war, entgegnet Prof. Dr. Antes nüchtern:

Ich würde es noch ein bisschen genauer anschauen. Fehlende Expertise heißt, sie können es nicht. Aber an einigen Stellen war es so, dass das, was an Expertise oder Expertenwissen eigentlich da war, nicht genutzt wurde. Weder bei den eigenen Entscheidungsträgern, noch auf Druck von Nachfragen.“

Die erste These lautet also:

„Zu keinem Zeitpunkt gab es ein ‚Handeln unter Unwissenheit‘, sondern die relevanten Informationen lagen bereits Mitte März 2020 vor.“

Thesenpapier siehe Upload unten. „Die Bedeutung fachlich-wissenschaftlicher Grundprinzipien und die Folgen ihrer Missachtung„: S. 73.

Die Arbeitsgruppe aus namhaften Gesundheitsexperten hat bereits früh vor verengten Sichtweisen gewarnt und alternative Ansätze vorgeschlagen. Im öffentlichen Wissenschaftsdiskurs hatte sie indes nicht viel Gehör gefunden:

  • Der Wissenschaftler und Medizinprofessor, Dr. Matthias Schrappe, forderte schon Ende 2020 einen Kurswechsel in der Corona-Pandemie.
  • Der Chef des Gesundheitsamts Frankfurt, René Gottschalk, mahnte schon zu Beginn, dass Kinder nicht die Pandemietreiber sind.
  • Der deutsche Professor für Rechtsmedizin, Prof. Klaus Püschel, kritisierte früh die Methodik des Robert Koch-Instituts zur Erfassung von Corona-Toten.
  • Die Pflegemanagerin und Beraterin im Gesundheitswesen, Hedwig François-Kettner, beklagte das Corona-Management gerade in Pflegeheimen.
  • Die Ärztin im Bereich Kinder- und Jugendheilkunde, Dr. Andrea Knipp-Selke, appellierte an die Verantwortungsübernahme gerade in Anbetracht der Folgen bei Kindern und Jugendlichen.
  • Der Arzt und Gesundheitswissenschaftler, Martin Sprenger, hält als vierwöchiges Mitglied des Beraterstabs der Coronavirus-Taskforce im Gesundheitsministerium den Weg vom Irrtum hin zur Erkenntnis für wesentlich.
  • Der deutsche Politikwissenschaftler und Demokratie-Experte, Prof. Dr. Philip Manow, zog die demokratische Lehre aus einem Jahr Corona, wonach der Notfallmodus nie verlassen wurde.
  • Nicht zuletzt der deutsche Jurist und Vorstand des BKK Dachverband e.V., Franz Knieps, wies ebenfalls früh darauf hin, dass Maßnahmen solcher Art einer legitimen Rechtfertigung und transparenter Abwägungsprozesse bedurft hätten.

Der Umgang mit jenen Stimmen war programmatisch ablehnend und ist letztlich der Beweggrund für die Entstehung dieser Autorengruppe. Denn, was der eigentliche Keim des Corona-Missmanagements war, ist die einseitige Beschränkung auf den – zudem noch im Ergebnis falschen – medizinisch-virologischen Blick, obwohl das Kompetenzspektrum viel weiter gefächert ist, konzediert Prof. Dr. Gerd Antes:

Relevante Berufsgruppen, wie z. B. die Fachgesellschaft für Krankenhaushygiene, die Profis für Seuchenbekämpfung sind, wurden völlig missachtet […]. Die hätte man an erster Stelle berücksichtigen müssen.“

Neben dem Abbau von Versorgungskapazitäten in der Gesundheitsbranche klagt Prof. Dr. Gerd Antes an, dass vor allem die Belange und Bedürfnisse der vulnerabelsten Gruppen, nämlich der Kinder und älteren Menschen, völlig außer Acht gelassen wurden.

Angesichts des „ewig-so-weiter-machen-wie-bisher“ und dem konsequenten Herauswinden aus Fehlern legt die Autorengruppe daher – wir zitieren –

„(…) eine Zusammenstellung der fachlichen Grundlagen eines effektiven und wissenschaftlich abgesicherten Epidemie-Managements vor, um eine Form der inhaltlichen Aufarbeitung zu erreichen, die eine Wiederholung der Fehler bei zukünftigen Krisen durch Infektionserreger zu vermeiden hilft.“

Dieses Thesenpapier dokumentiert nicht nur das Versagen der Verantwortlichen, sondern dient vor allem als Handlungsvorschlag für einen zukünftigen Umgang mit ähnlicher Konstellation.

Wir danken Prof. Dr. Antes und der Journalistin Antje Maly-Samiralow dafür, dass sie das 7-seitige Thesenpapier der Autorengruppe in die Öffentlichkeit bringen und den Prozess der Aufarbeitung somit beschleunigen.

Das Autorenpapier mit allen 13 Thesen stellen wir hier zum Upload zur Verfügung und zitieren hier einen kurzen Ausschnitt aus dem Projekt:

„Die Thesenpapier-Gruppe ist sich vor diesem Hintergrund vollständig darüber im Klaren, dass die Erfahrungen der letzten drei Jahre nicht allein auf Ebene der Gesundheitsversorgung zu sichten und zu interpretieren sind, sondern dass gleichermaßen soziale und politische Faktoren mit einbezogen werden müssen. […] Nach knapp drei Jahren Pandemie-Management, so unser Ausgangspunkt, muss also versucht werden, die Verluste einzugrenzen und die Entwicklung wieder aufzunehmen, gerade da sie – Beispiele Finanzierung und Transparenz der Institutionen – nicht nur die Epidemiekontrolle betreffen, sondern von allgemeinem Interesse sind.“