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Gesellschaft und Wirtschaft

Yogalehrerin: „Angst, immer noch Angst“

Als Heilpraktikerin und Yogalehrerin habe ich bis März fast 5 Jahre lang eine Seniorenyoga-Gruppe geleitet. Jeden Montagvormittag fanden sich 6 -7- alte Damen zwischen 72 und 86 Jahren in meiner Praxis ein. Nach einer Eingewöhnungszeit war es allen (außer einer Dame die
Unterschenkel-amputiert ist) möglich leichte Übungen am Boden zu machen, selbständig wieder aufzustehen, sich zu drehen und auch leichte Haltungen auf einem Bein stehend (Baumübung)
auszuführen. Bei allen verbesserte sich die Beweglichkeit. Sie waren stolz in ihren Familien die Übungen vorzuführen und auch kleine Koordinations-Übungen, wie z. B. Beweglichkeitsübungen der
Hände, praktizierten sie fleißig zu Hause. In diesen Stunden wurde viel gelacht, alle genossen sichtbar den Kontakt zu den Freundinnen. Die verbesserte Beweglichkeit führte zu mehr
Wohlbefinden im Alltag.

Seit Mitte März, hat nun diese Yoga-Einheit nicht mehr stattgefunden. Nach den ersten Telefonaten in denen ich mich nach dem Wohlbefinden erkundigte, ist der Kontakt fast vollständig
abgebrochen. Als ich meine Yogapraxis wieder aufnehmen durfte, machte ich den Damen unterschiedliche Angebote – z. B. mit Abstand in 2-er Gruppen. Doch fast alle sagten ab. Zwei der Damen die in meiner unmittelbarer Nachbarschaft wohnen, sehe ich regelmäßigen, doch nach
wie vor sind sie ängstlich und verhalten. Meine Hilfsangebote werden dankend abgelehnt, so schaue ich zu wie sie die schweren Einkaufstaschen die Treppen hinauf wuchten, darf aber nicht
helfen. Sie werden blasser, berichten auch im Gespräch auf der Straße von unterschiedlichsten Beschwerden. Ihre Grundbeschwerden haben zugenommen und vor allem, sehe ich sie nicht mehr lachen! Selbst ein angebotenes gemeinsames Frühstück im Garten der Praxis wurde höflich
abgelehnt.


Zu einer Dame jedoch habe ich regelmäßig Kontakt. Ihre sehr schmerzhafte chronische Neuralgie, die mit heftig einschießenden Schmerzen verbunden ist, hatte sich in den letzten zwei Jahren auf
ein kaum noch vorhandenes Maaß reduziert. In den Wochen des Lockdowns traten die Schmerzen in zunehmender Stärke wieder auf. Sie lebt allein in einer kleinen Wohnung, ist zwar gut von Nachbarn und Enkeln versorgt, doch als gesellige Frau fehlt ihr der Kontakt zu ihren Freundinnen. Trotz meiner Hausbesuche und Behandlungen (die in der Vergangenheit so gutgewirkt hatten), wollte sich keine rechte Verbesserung einstellen. Es gab Tage, an denen sie wegen des Schmerzes, der so stark war, nicht mehr leben wollte. Händeringend bemüht sie sich
telefonisch darum wenigstens eine Freundin zu einem Treffen, zu Yoga oder Kartenspielen zu überzeugen. Fehlanzeige! Alle in Ihrem Bekanntenkreis haben Angst, immer noch Angst, obwohl
die Verordnungen längst wieder erlauben würden sich zu treffen. Kurz vor meinem Sommerurlaub machte ich der Dame dann den Vorschlag mit Ihr in die Innenstadt zu einem Kaffeebesuch zu fahren. Sie blühte sichtlich auf, erwartete mich fein gekleidet schon mit geöffneter Haustür. Am
Ende unseres Ausflugs stellte sie freudestrahlend fest, dass der Schmerz, unter dem sie in den letzten Wochen so stark gelitten hatte, in den ganzen vier Stunden nicht ein einziges Mal aufgetreten war. Nach meinem Urlaub werde ich sie wieder ausführen, in der Hoffnung, dass irgendwann ihre Yogafreundinnen den Mut haben, die schöne Yogastunde wieder aufleben zu lassen.

Bereicht einer Heilpraktikerin und Yogalehrerin